Fast wöchentlich habe ich als Übersetzerin mit dem japanischen Familienregister (koseki) zu tun. Oft muss dieses für amtliche Zwecke und Anträge übersetzt werden.
Beim koseki handelt es sich um ein Dokument von ungeheurer Bedeutung für jeden japanischen Bürger. Alle wichtigen Ereignisse eines Lebens wie Geburt, Ehe, Scheidung und Tod sind in diesem einen Dokument versammelt. Dabei ist nicht das Individuum die grundlegende Einheit des koseki, sondern eine Familie, ein ie. Dieses ie ist ein altertümliches Einteilungssystem über das noch heute die BürgerInnen Japans erfasst werden. Jedes ie hat einen Haushaltsvorstand, ein Oberhaupt, das als erste Person auf dem koseki erscheint. Zudem ist der familienrechtliche Hauptwohnsitz auf dem koseki vermerkt. Das muss gar nicht der eigentlich aktuelle Wohnort der Familie oder der Familienmitglieder sein. Dabei handelt es sich eher um sowas wie den Sitz des Stammhauses oder das Elternhaus vergangener Generationen.
Da das koseki von der Einheit des ie ausgeht, sind in den allermeisten Fällen nicht nur einzelne Personen erfasst, sondern die gesamte Familie samt aller Geschwisterkinder. Die Lebensgeschichte der Familie mit allen Höhen und Tiefen ist somit unter Umständen relativ einfach nachvollziehbar. Alle im koseki eingetragenen Personen haben den gleichen Nachnamen. Durch eine Heirat verlassen Kinder das koseki ihrer Eltern und können in das koseki des Ehepartners eingetragen werden oder ihr eigenes koseki als neues Familienoberhaupt eröffnen. Nicht japanische Staatsbürger können nicht Vorstand eines koseki werden.
Doch nicht nur dies, auch weitere Umstände sind kritisch zu betrachten. Wie schon erwähnt, enthält ein koseki eine ungeheure Menge an vertraulichen Daten. Neben denen einer einzelnen Person finden sich diverse Daten enger Familienangehöriger. So lässt sich zum Beispiel auch leicht erkennen, ob eine Frau aus der Familie unverheiratet ein Kind geboren hat oder geschieden ist. Solche Informationen führen de facto noch immer zu gesellschaftlicher Diskriminierung und sollten deshalb ganz besonders geschützt werden. Des Weiteren sieht das System immer nur einen Familiennamen vor. Partner müssen bei der Eheschließung einen Nachnamen auswählen; es ist nicht möglich, dass beide ihren Namen behalten. Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Diskussion um koseki ist die Tatsache, dass JapanerInnen immer nur in einem koseki eingetragen sein können. Dies führt bei einer Scheidung regelmäßig zu dem Problem, dass gemeinsame Kinder aus dem koseki und dem Leben des einen Elternteils verschwinden und der Kontakt abbricht. Denn das japanische Gesetz verfährt im Falle einer Scheidung noch immer nach der Maßgabe des sauberen Schnitts (clean cut). Es ist kein gemeinsames Sorgerecht der Eltern auch nach der Scheidung vorgesehen. Das Sorgerecht geht nur an einen Elternteil, in dessen koseki die Kinder folglich weitergeführt werden. Diese Situation wurde vielfach – auch international – kritisiert, denn nach vorherrschender Meinung sollte zum Wohle des Kindes eine Beziehung und ein Zugang zu beiden Elternteilen ermöglicht werden. Auch wünschen sich viele japanische Paare nach der Scheidung ein gemeinsames Sorgerecht im Interesse der Kinder, doch die Rechtslage gibt hier nur wenig Spielraum und durch das koseki entstehen unnötig große bürokratische Hürden.
Aus diesen Gründen wächst die Kritik am Erfassungssystem des koseki. Es handelt sich um ein enges und viel zu altes Korsett, das die modernen Lebensweisen und Familienentwürfe nicht mehr abbildet. Zu versuchen, die Menschen diesem System unterzuordnen, führt oft zu Problemen und schmerzhaften Entscheidungen. In Goodmann (2000, Children Of The Japanese State; 148 ff.) wird z. B. angemerkt, dass viele Frauen eine Eintragung eines unehelichen Kindes in das koseki der Familie aus Angst vor Diskriminierung verhindern möchten und dies ein Grund für verhältnismäßig hohe Abreibungsraten in Japan sein könnte. Eine weiterführende kritische Auseinandersetzung mit dem koseki, den damit einhergehenden Problemen sowie dem ideologischen Hintergrund findet sich in einem Aufsatz von Takeshi Hamano unter folgendem Link http://iafor.org/archives/journals/iafor-journal-of-asian-studies/10.22492.ijas.3.1.03.pdf