In Tokyo Monogatari spielen die leisen Töne die Hauptrolle. Familie, Eltern-Kind Beziehungen bzw. die Ablösung von Alt durch Neu stehen im Vordergrund und werden in ruhiger Weise thematisiert. Zugleich ist er ein Dokument der Zeitgeschichte, da er das Leben in den 50er Jahren in Japan (nicht lange nach Ende des Krieges) proträtiert.
Der Film von 1953 stammt von Yasujiro Ozu. Er ist das bekannteste Werk des Regisseurs und gilt als einer der besten Filme aller Zeiten.
Das ältere Ehepaar Shukichi und Tomi Hirayama macht sich von ihrem Dorf aus auf den Weg nach Tokyo, um dort die erwachsenen Kinder zu besuchen. Doch weder ihr ältester Sohn, noch die Tochter haben Zeit und Lust, sich um die Eltern zu kümmern. Nur die Witwe ihres verstorbenen Sohnes, die Büroangestellte Noriko, empfängt sie mit liebevoller Gastfreundschaft.
Um die Eltern loszuwerden, schicken die Kinder die beiden in einen Kurort ans Meer. Dort fühlen sie sich jedoch nicht wohl. Als sich auch noch Tomis Gesundheitszustand verschlechtert, kehrt das Ehepaar nach Tokyo zurück. Sie sind gezwungen, sich zu trennen, da keiner der beiden Kinder bereit ist, beide Elternteile bei sich aufzunehmen.
Auf der Heimreise ins Dorf geht es Tomi immer schlechter, sodass sie einen Zwischenstopp bei ihrem jüngsten Sohn in Osaka einlegen. Zurück zu Hause verstirbt Tomi bald darauf. Während die eigenen Kinder sich kurz nach der Beerdigung wieder auf den Rückweg machen, bleibt Noriko als Unterstützung bei ihrem Schwiegervater. Als auch Noriko abreisen muss, bittet der dankbare Shukichi sie darum, erneut zu heiraten. Noriko gibt zu, dass das Leben als Witwe tatsächlich schwer für sie ist. Als Zeichen seines Verständnisses schenkt Shukichi ihr die Uhr seiner verstorbenen Frau.
Die Beziehungen innerhalb der Familie, insbesondere die Eltern-Kind-Beziehung, stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Obwohl die Eltern mehr Fürsorge und Aufmerksamkeit von ihren Kindern erwarten könnten, beschweren sie sich nicht. Sie geben ihnen nicht die Schuld an ihrem Verhalten, sondern verstehen, dass die Anforderungen des Lebens in der Stadt ihre Kinder beeinflussen.
Deutlich Kritik äußert nur die jüngste Tochter der Familie am Verhalten ihrer Geschwister. Sie ist wütend über deren Undankbarkeit und möchte nie so werden wie ihre Geschwister.
Doch in einer bedeutenden Szene des Films wird sie von Noriko, der einzigen, die sich offenbar korrekt verhalten hat, darauf hingewiesen, dass dies der normale Lauf der Dinge ist. Kinder und Eltern driften auseinander und führen ein Leben in getrennten Welten.
Auch Noriko, die als Witwe lebt, empfindet sich nicht als unschuldig. Innerlich hat sie sich schon ein wenig von ihrem verstorbenen Mann getrennt, sodass sie sich gegenüber ihm und seiner Familie schuldig fühlt. Erst durch ihre Schwiegereltern und letztlich durch das Geschenk wird sie „freigesprochen“ und kann ein neues Leben beginnen.
Die Familie als Bild des Zusammenhalts und der Geschlossenheit wird hier auf die Probe gestellt. Auch der traditionell starke Fokus auf die Familie in Japan ist modernen Einflüssen unterworfen. Hinzu kommt das natürliche Loslösen der Kinder vom Elternhaus. Es kommt zu Spannungssituationen, die aber nicht offen ausbrechen. Das kann für den Zuschauer unbefriedigend sein, ist aber durchaus realistisch. Nicht jeder ist es gewohnt, andere direkt mit seinem Ärger und seiner Enttäuschung zu konfrontieren. Oft sehen wir, wie Noriko oder die Großeltern ihre Gefühle unter einem Lächeln verbergen.
Schließlich möchte ich noch etwas zum besonderen Stil des Filmes sagen. Ozu hat einen nüchternen und undramatischen Film geschaffen. Auffällig ist die geringe Höhe der Kameraposition, und dass die Kamera kaum bewegt wird. Während Konversationen schauen wir mitunter direkt dem Sprecher ins Gesicht. Interessant sind zudem die sogenannten ‚leeren Bilder‘, die eine kurze Szene zeigen, die nicht unmittelbar zur Geschichte gehört. Es werden Gegenstände oder Landschaften gezeigt. Man vermutet, dass sie als Platzhalter für die Gefühle der Charaktere oder der Zuschauer dienen sollen. So ganz genau weiß man das aber nicht.
Erstmals gesehen habe ich den Film 2012. Danach habe ich ihn auch mit meiner Mutter und Schwester geschaut, die (trotzdem es nur deutschen Untertitel gab) zu Tränen gerührt waren. Meine Lieblingsszene ist die, in der Noriko Kyoko erklärt, dass ihre Geschwister keine gewissenlosen Menschen sind, und dass das Leben einfach enttäuschend ist in vielerlei Hinsicht. Die harte Realität, wieder geschmückt mit einem Lächeln.
Alles in allem ist es ein besonderer Film japanischen Stils, der unaufgeregt die Veränderung und Entfremdung in einer japanischen Familie der 50er nachzeichnet. Wenn man sich auf die ruhige Erzählweise und den japanischen Stil einlassen kann, dann ist er sehr interessant.