Planung
Als meine Eltern mir vom anderen Ende der Welt aus erzählten, sie und mein Bruder würden mich gerne in Japan besuchen kommen, wusste ich kurz nicht, ob ich mich einfach freuen oder aber den plötzlich losgehenden Alarmglocken irgendwo in meinem Unterbewusstsein Beachtung schenken sollte. Klar, ich war jetzt schon länger als ein halbes Jahr von ihnen fort und sicher wollte ich sie auch gerne sehen. Aber ich hatte ein wenig die Befürchtung, dass meine lieben, bodenständigen Eltern aus dem norddeutschen Tiefland sich in Japan nicht zurecht finden würden. Auf jeden Fall würde es eine Herausforderung für alle Beteiligten sein. Bei meinem Bruder machte ich mir naturgemäß weniger Sorgen, war er doch selber grade aus Südafrika zurückgekehrt.
Der Gedanke, dass ich meinen Bruder bei Vorbereitung und Durchführung des Besuchs als tatkräftige Unterstützung zur Seite haben würde, beruhigte mich dann auch dahingehend, dass ich mich ehrlich über diese Ankündigung freuen und das flaue Gefühl im Magen ignorieren konnte.
Rückblickend muss ich sagen, dass alle Beteiligten a) viel Mut, Geduld und Offenheit mitbrachten und b) wir die Planung derart gestaltet haben, dass Wünschen, spontanen Ideen und unvorhergesehnen Ereignissen genug Platz eingeräumt wurde und somit die Reise eine schöne und interessante Erinnerung bleibt, die man gern immer wieder hervorholt. Punkt a) hat sicher viel mit Charaktereigenschaften zu tun. Doch Punkt b) ist eine Möglichkeit, sich auf einer Individualreise im Land der aufgehenden Sonne nicht vollständig verloren vorzukommen. Als Inspiration möchte ich hier einige Highlights erwähnen und Tipps mitgeben.
Wie also reist man „erfolgreich“ durch Japan?
Alle größeren Projekte haben es so an sich, dass sie einer mehr oder weniger gründlichen Vorbereitungs- und Planungsphase bedürfen. Diese Aufgabe war überwiegend uns Kindern überlassen. Wichtige Fragen, die wir im Vorfeld klären mussten:
Art der Reise (Individual/Pauschal)
Dauer der Reise (Tage/Wochen)
Kosten der Reise (Minimu/Maximum)
Ziele der Reise (feste Ziele/spontane Ziele)
Für uns war von vornherein klar, dass wir nicht irgendwelche Gruppenreisen wollten. Ich wurde als persönliche Reiseführerin/Dolmetscherin/Übersetzerin/Person mit interkulturellen Kompetenzen betrachtet, was das elendige Abklappern von Sightseeingspots in einer Touristengruppe überflüssig machen würde. Wir wollten möglichst frei entscheiden können. Deshalb kam schon früh die Idee auf, sich im Verlauf der Reise ein Auto zu mieten und mit diesem auf eigene Faust das Land zu erkunden.
Da es in Japan viel zu sehen gibt, lohnt sich ein kurzer Aufenhalt eher weniger. Wir haben uns damals nur auf der Hauptinsel Honshu bewegt und selbst dabei unzählige Eindrücke mitgenommen und interessante Menschen getroffen. Sicher möchte man viele Orte besichtigen, jedoch halte ich es für kontraproduktiv, in Japan von einem Tempel zum nächsten zu hetzen. Es sollten schon mindestens 10 Tage sein, wenn man Japan bereist.
Aber natürlich ist dies auch eine Frage der finanziellen Situation. Reisen nach Japan sind teuer. Zu berücksichtigen sind hier unter anderem Flug, Übernachtungen, Essen, Eintrittsgelder, Fortbewegungsmittel, Leihgebühr fürs Smartphone / Internet usw.. Auf jeden Fall solltet ihr neben einer Kreditkarte auch genügend Yen dabeihaben, da Bargeld immer gern gesehen ist. Geldwechseln ist auch vor Ort möglich, aber je nach Wechselkurs kann es besser sein, schon in Deutschland Geld einzutauschen.
Osaka und Kyoto
Startpunkt unserer Reise war Osaka. Dort sammelte ich meine gejetlagten Familienmitglieder ein. Direkt am Flughafen liehen wir uns ein Smartphone für die Reise, um auch unterwegs immer ordentliches Internet zur Verfügung zu haben.
Osaka ist eine große und lebendige Stadt, in der es sicher viel zu sehen gibt. Die abendlichen Lichter der Einkaufsstraßen und Touristenviertel können jedoch für übermüdete Deutschen vom Lande etwas anstrengend sein, weshalb wir nur kurz durch die Straßen spazierten.
Nächster Stop war Kyoto, wo wir den wunderschönen Tempel Kyomizudera kurz vor Kassenschluss in aller Ruhe besichtigen konnten.
Das beste an dem Tag war jedoch, dass wir danach in einer kleine Eckkneipe landeten. Außer den netten Gesellen, die dort zum Inventar gehörten, waren nur wir vier dort. Nach kurzer Zeit, als deutlich wurde, dass ich Japanisch konnte, begannen eben jene herzlichen Gesellen, uns mit Sake zu versorgen. Dies führte unweigerlich zur Steigerung der guten Laune und dazu, dass wir uns nicht mehr so ganz in der Lage sahen, den Weg zum Hostel zu Fuß zurückzulegen, sondern uns von einem dieser weiß-behandschuhten Taxifahrer jenseits der 60 nach Hause bringen ließen.
Neben dem erwähnten Kyomizudera ist auch der Bambuswald etwas außerhalb der Stadt einen Besuch wert. Wir waren besonders clever und haben uns vor Ort Räder geliehen. Eine ganze Weile radelten wir durch die Ortschaft und den Wald, als plötzlich mein Bruder hellauf begeistert irgendetwas rief und in die Pedale trat. „Affen! Da steht, dass es oben auf dem Berg Affen gibt!“ Seine Begeisterung für Affen konnte ich noch nie so ganz teilen, aber was tut man nicht alles, damit Gäste zufrieden sind? Es blieb uns nichts anderes übrig, als ihm folgend diesen Berg in der Sommerhitze zu erklimmen. Tatsächlich. Oben war eine ganze Affenhorde, die sich nicht weiter von den Menschen und Aufsichtspersonen stören ließ. Während mein Bruder begeistert Affen fotografierte, hielten meine Mutter und ich lieber etwas Abstand.
Ein weiterer Umstand, den man sehr zu schätzen lernt, wenn man in Japan unterwegs ist, sind die Kombinis. An jeder Ecke, rund um die Uhr geöffnet, ermöglichen sie abenteuerlichen Ausländern, die nach einem langen Tag noch immer nicht genug haben, sich entsprechend mit (alkoholischen) Getränken einzudecken und am nächsten Tag dafür die Konsequenzen zu tragen. *hust*
Von Kanazawa auf zum Roadtrip
Nachdem wir die Großstädte Osaka und Kyoto gesehen hatten, nahmen wir den Expresszug Richtung Kanazawa, der Stadt, wo ich als Austauschstudentin verortet war. Ab hier begann der eher ungeplante Teil der Reise. In Osaka, Kyoto und Kanazwa hatten wir stets vorher Unterkünfte reserviert und die Sightseeingpunkte geplant. Doch nun wollten wir uns selbstständig mit unserem gemieteten Subaru aufmachen, die ländlicheren Regionen in nordöstlicher Richtung zu erkunden. In Japan Autofahren funktioniert eigentlich ganz gut. Die Straßen sind in sehr gutem Zustand und Tankstellen sind auch genügend vorhanden. Nur nicht vergessen darf man, dass in Japan Linksverkehr herrscht und es eine Weile dauern kann, bis man sich daran gewöhnt. Für die Nutzung der Autobahn müssen Gebühren bezahlt werden. Um Autofahren zu dürfen, benötigt man eine Anerkennung des ausländischen Führerscheins. Gegen Vorlage verschiedener Papiere und einer Bearbeitungsgebühr war es für mich kein Problem, im Vorfeld unsere Führerscheine von der Stadt Kanazawa anerkennen zu lassen. Dem Abenteuer Nordosten stand nichts mehr im Weg.
Matsumoto und Kamikochi
Die Reise mit dem Auto war oftmals ein richtiger Roadtrip. Wir hatten die Freiheit, spontan Ziele zu ändern, zu stoppen oder umzukehren. Außerdem konnte ich so immer mit dem Handy rumtelefonieren und versuchen, uns eine Unterkunft für die Nacht zu besorgen. Denn wir wussten ja nie so genau, wo wir landen würden.
So haben wir unterwegs beispielsweise einen verborgenen Wasserfall gefunden und mein Bruder und mein Vater ließen es sich nicht nehmen, in das eiskalte Wasser zu springen.
Es war auf jeden Fall eine großartige Idee gewesen, nach den hektischen Großstädten aufs Land mit dem Auto zu fahren. Nicht nur waren wir unabhängiger, sondern auch entspannter als vorher.
Ein Highlight dieses Reiseabschnitts war die Stadt Matsumoto in der Präfektur Nagano. Im Gegensatz zum südlichen Teil Honshus war es hier auch im Sommer angenehm frisch und weniger drückend. Die Stadt Matsumoto besitzt eine beeindruckende und sehr interessante Burg, die – da muss ich meinem Bruder Recht geben – eigentlich noch viel cooler ist, als das hochgelobte Schloss von Osaka. Denn diese Burg in Matsumoto war voll und ganz auf Verteidigung ausgerichtet und behergte sogar ein geheimes von außen nicht zu sehendes Zwischenstockwerk. Hier konnten die Samurai ihre Feinde unerkannt ins Visier nehmen und mit Pfeilen beschießen.
Absolut empfehlenswert ist auch ein Besuch in Kamikochi. Dies ist eine Reiseregion am Rand der japanischen Alpen, die viele Leute zum Wandern und Campen einlädt. Dort gibt es glasklare Bäche und beeindruckendes Bergpanorama. Die Luft ist wunderbar frisch und in dieser wunderschönen Natur lässt es sich gut aushalten. Schon beim Erzählen packt mich wieder das Fernweh. Am besten versucht man, hier nicht während der Hauptsaison hinzufahren, da die übrigen Touristen doch etwas störend sein können.
End of Roadtrip
Von Nagano aus machten wir uns wieder auf den Rückweg gen Westen Richtung Kanazawa. Ein Tag am japanischen Meer markierte den Endpunkt unserer langen und aufregenden Reise. Grade wollten wir das Auto beim Autoverleih abliefern, da hätten wir doch glatt noch einen Strafzettel für das Übersehen eines Stopschilds kassiert. Dies konnte glücklicherweise durch meine gewandte Rethorik und überschwängliche Entschuldigung beim Polizisten verhindert werden – naja, vielleicht hatte der gute Mann auch einfach keine Lust, sich mit vier Deutschen rumzuschlagen. Wer weiß.
Danach trennten sich unsere Wege. Ich setzte meine Eltern und meinen Bruder in den Zug nach Osaka, von wo aus sie am nächsten Tag nach Hause fliegen würden. Einerseits froh, dass alles gut geklappt hatte, andererseits wehmütig, dass die Reise zu Ende war, machte ich mit auf den Heimweg, zurück in mein kleines Studentenwohnheimzimmer.
Fazit
Japan ist wunderschön und sehr vielseitig. Um möglichst viel von Japan zu sehen und zu erfahren, kann ich nur empfehlen, sich auch außerhalb der großen Städte aufs Land zu wagen. Sicher kann man dies auch ohne Auto gut mit der Bahn, Bussen oder vielleicht mit dem Rad. Außerdem bin ich überzeugt, dass weniger oft mehr ist und man sich die Zeit nehmen sollte, auch mal einen halben oder einen ganzen Tag länger an einem Ort zu verweilen. Was in Erinnerung bleibt, sind oft weniger die „typischen“ Touristenspots, sondern eher die versteckteren Schätze, wie eben jener Wasserfall, die man gemeinsam entdeckt hat. Oder aber die Begegnung mit offenen Menschen, die deine Familie und dich auf ein Glas Sake einladen. Oder aber auch der grummelige Polizist, der euch nach einem strengen Blick und mahnenden Worten doch noch dieses eine mal davonkommen lässt. Oder auch die geschwätzige Hotelbesitzerin mit dem gutmütigen Gesicht, die einfach nicht mehr aufhören kann, dich und deine Familie auszufragen. Oder der dicke Japaner nebenan im Zimmer, unter dessen wankendem Gang das Holz der traditionellen Herberge knarzt…