Flucht Teil 2

Wäre der Flughafen in Akita groß gewesen, ich hätte ernsthaft Probleme bekommen, mich zurecht zu finden. Zunächst suchte ich nach einem Münztelefon, um meinen Freund auf dem Laufenden zu halten und ihn zu bitten, meine Familie über den Stand der Dinge zu informieren. Aufgrund der Notsituation war die Benutzung der Telefone kostenlos.

Ich war nicht die einzige, die an diesem Tag von dort weg wollte. Viele Menschen waren in der Halle und wollten einfach den nächstbesten Flug nehmen. Aus diesem Grund hatte die Fluggesellschaft Wartenummern verteilt, als wären wir beim Amt. Ich hatte Glück, dass ich kurzfristig einen Platz nach Tokyo Haneda erhalten habe. Während des Fluges habe ich mir immer wieder in Gedanken gesagt, dass ich noch eine kleine Weile durchhalten muss, nur noch ein wenig.

In Tokyo Haneda angekommen sagte ich meinem Freund Bescheid und war überglücklich, als ich ihn endlich sehen konnte. Natürlich wünscht man sich beim ersten Treffen mit der Familie des Freundes einen guten Eindruck zu machen. Aber ich hatte tagelang nicht geduscht, war ein reines Nervenbündel und zu nichts mehr zu gebrauchen. Nichts zu machen.

Endlich konnte ich duschen, essen und mich ausruhen. Ich fühlte mich sicher und wäre vielleicht noch länger bei ihnen geblieben, wenn meine Familie nicht darauf bestanden hätte, dass ich sofort den nächsten Flug nach Hause nehme. Ich musste einsehen, dass es das beste war, obwohl mich das sehr traurig machte.

Nach einer schlaflosen Nacht machten wir uns am nächsten Morgen auf den Weg nach Tokyo Narita. Der Flug sollte gegen drei Uhr starten und ich sollte dann in Amsterdam von meiner Familie abgeholt werden. Am riesigen Flughafen Narita war sehr viel los. Ein Angestellter hat uns darüber informiert, dass der Flug sich verlängern würde. Es war ein längerer Zwischenstopp von etwa zwei Stunden in Osaka geplant, da Lufthansa entschieden hatte, ihr Personal von Tokyo nach Osaka zu verlegen. Kurze Zeit später wurde Tokyo von Lufthansa gar nicht mehr angefolgen.

Nach dem gründlichen Security-Check ist mir während dem Weg zum richtigen Gate aufgefallen, dass meine eigentliche Boarding-time schon längst vorbei war. Aber meine Sorge war unbegründet, denn die Boarding-time für den Flug war verlängert worden. Der Kapitän bekundete in einer kurzen Ansprache sein Beileid mit allen, die durch die Katastrophe geschädigt worden waren oder Angehörige verloren hatten. Während des Fluges hatte ich zu meiner Rechten eine nette Japanerin sitzen, mit der ich mich eine ganze Weile unterhielt. Sie hatte Verwandte in Europa zu denen sie nun vorerst wollte. Der Flug kam mir endlos lang vor und ich befand mich ständig zwischen Wachen und Wegnicken.

Es war Nacht, als wir endlich in Amsterdam ankamen. Noch im Flugzeug sah ich vor mir ein junge Mutter, die in einem Tragetuch einen kleinen Säugling dabei hatte. Außerdem hatte sie eine Menge Handgepäck und wirkte recht verlassen. Kurzerhand bot ich meine Hilfe an und griff mir zwei ihrer Taschen. Zusammen gingen wir hinaus in den Flughafen. Zum Glück wurde sie dort von ihrem Mann, der im Ausland arbeitete, abgeholt.

Nachdem ich endlich meinen Koffer gefunden hatte, trat ich in die Empfangshalle. Meine Eltern, mein Bruder und meine Schwester waren da. Alle waren erleichtert, aber auch sehr sehr erschöpft. Gegen halb eins morgens waren wir wieder zu Hause. Sofort habe ich meinem Freund Bescheid gesagt und mich am nächsten Morgen in Ichinoseki gemeldet.

 

Dies ist also die Geschichte meiner Flucht aus Japan. Körperlich war ich wieder zu Hause in Deutschland. In Sicherheit bei meiner Familie. Innerlich war ich noch lange nicht angekommen. Die Umstände der Abreise, die Plötzlichkeit, die Bedrohung von Freunden und Bekannten durch Fukushima usw. haben natürlich weitergewirkt.

Im nächsten Beitrag möchte ich auf die weitere Situation des Kinderheims eingehen und erläutern, wie es dort heute aussieht.

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